Krankheitsverlauf (N°4)

Björn Dill, im März 2006

Meine Krankheitsgeschichte begann im Januar 2001.

Damals hatte ich nach längerer Pause wieder mit dem Joggen begonnen und deshalb neue Laufschuhe gekauft.

Sehr bald bekam ich Schmerzen am rechten Fuß, genauer an der tibialis anterior- Sehne in Knöchelnähe.

Ich ging sofort zu einem Facharzt, der den Fuß zunächst mit Verbänden, dann per Gipsschiene mehrmals für 10-14 Tage ruhig stellte und mir Schmerzmittel verschrieb.

War der Fuß eingegipst, hatte ich vor den Schmerzen weitgehend Ruhe, war der Gips entfernt, waren die Schmerzen nach wenigen Tagen umso stärker zurück.

Im Sommer 2001 war der gesamte Fuß dick und rot angeschwollen, mittels Kernspin wurde eine akute Reizung des oberen und unteren Sprunggelenks diagnostiziert.

Mit wachsender Verzweiflung versuchte ich ärztlich Hilfe zu finden, konnte ich doch nur noch an Krücken gehen.

Leider musste ich dabei keine guten Erfahrungen machen.

Die einen Ärzte meinten, ich hätte halt eine chronifizierte Sehnenscheidenentzündung, das sei sicher unangenehm, aber kein Grund sich anzustellen, andere Ärzte sagten, bei mir sei offensichtlich eine initiale Polyarthritis  im Gange, meine Blutwerte seien zwar vollkommen in Ordnung, aber das läge am sog. diagnostischen Fenster. Ich solle hoch dosiert Voltaren einnehmen und regelmäßig mein Blut untersuchen lassen.

Was ich alles versuchte, nur um meine Fußprobleme zu beheben, würde den Rahmen eines normalen Berichts bei weitem sprengen.

Meine Wege führten mich von Heidelberg bis München, sämtliche physiotherapeutischen Maßnahmen ließ ich über mich ergehen.

Letztlich endeten aber sämtliche Therapieversuche mit dem Spritzen von Cortison, das tangential an die Sehne injiziert wurde.

Durch die ständigen Gipsschienen rechts, bekam ich durch die Überlastung nun auch noch Schmerzen am linken Fuß.

Schließlich ließ ich, als ich einfach nicht mehr weiter wusste, im November 2001 in  Heidelberg eine „Exploration“ am rechten Fuß durchführen, um eine vermeintlich mechanische Ursache der Schmerzen beheben zu lassen.

Im Verlauf der Operation wurde die tibialis anterior-Sehnenscheide gespalten und gespült.

Waren die Schmerzen vor der Operation schon schlimm, so waren sie jetzt katastrophal.

Rechts konnte ich so gut wie gar nicht mehr auftreten, geschweige denn abrollen oder gehen.

 

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Der gesamte Fuß war jetzt nicht nur dick und rot geschwollen, in der Nähe und an bzw. auf der Sehne bildeten sich knubbelartige Verhärtungen, die die Schmerzen noch steigerten.

Zusätzlich traten nun auch Probleme mit dem Nagel der Großzehe auf, der plötzlich anfing einzuwachsen und zu eitern.

Mein berufliches und soziales Leben kam fast völlig zum erliegen, ich konnte mich nicht mehr selbst versorgen und zog wieder bei meinen Eltern ein.

Zwischen März 2002 und Januar 2003 unterzog ich mich in München 3 Nachoperationen, im gleichen Zeitraum wurden 6 Eingriffe am rechten Zehennagel vorgenommen (Emmert-Plastik), was den Nagel nicht davon abhielt, auch zum 7.mal zu eitern.

Zwischen den Operationen wurde der geschwollene Fuß 3-4 mal in der Woche mit Querfriktionen behandelt, um die Sehnenverhärtungen zu mobilisieren.

Die Schmerzen waren einfach unsäglich, aber man sagte mir, Querfriktionen müssten weh- tun, wenn sie helfen sollten.

Nach dem Eingriff im Januar 2003, kam es zu einer weiteren dramatischen Verschlechterung.

Die Farbe meines Fußes wandelte sich von Dunkelrot zu Purpur, die Haut fing an zu glänzen, als ob sie mit einer dicken Wachsschicht überzogen gewesen wäre und fühlte sich ständig heiß an. 

Als Therapie schlug man mir eine weitere Operation vor, bei der ein Nerv in einem Loch, das in meinen Schienbeinknochen gebohrt werden sollte, versenkt werden sollte.

Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich nicht zufällig Anfang März 2003 im Internet das Zentrum für Fußchirurgie, Bern gefunden hätte.

Bei Dr. Strehle hörte ich erstmalig den Begriff „Morbus Sudeck“, der sich bei mir unmittelbar im Übergang von Phase 2 zu Phase 3 befand.

Meine Therapie wurde vollkommen umgestellt, u.a. wurde der Fuß geschont, in Salzwasser gebadet, ich nahm Calcitonin als Nasenspray ein, der Zehennagel erhielt eine Spange.

Zudem sollte in Absprache mit Dr. Strehle in Deutschland eine ambulante Schmerztherapie vorgenommen werden.

Dies war zwingend notwendig geworden, da ich inzwischen vor lauter Schmerzen nicht einmal mehr richtig liegen konnte.

An ein normales Durchschlafen war schon lange nicht mehr zu denken, da ich mich wegen

der extremen Schmerzempfindlichkeit, die brennend bis zu meinem Knie ausstrahlte, nicht mehr auf die Seite drehen konnte und der Fuß hoch gelagert werden musste.

Veränderte ich im Schlaf meine Lage, wachte ich wegen der Schmerzen sofort auf, das kam pro Nacht ca. 5-10 mal vor, so dass ich schließlich dazu überging, meinen Unterschenkel nachts mit Paketklebeband zu fixieren.

Als besonders problematisch erwies sich das bei der Schmerztherapie u.a. verwendete Medikament Neurontin.

Hiervon sollte ich zunächst 3600 mg pro Tag einnehmen.

Die auftretenden Nebenwirkungen waren schon nach wenigen Wochen sehr unangenehm.

Innerhalb kurzer Zeit nahm ich stark an Gewicht zu. Ich war ständig müde und erschöpft, es viel mir immer schwerer mich auf eine Sache zu konzentrieren.

 

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Dies ging nach ca. 2 Monaten so weit, dass ich beim Lesen nach 3 Buchseiten nicht mehr genau wusste, was zuvor in der Geschichte passiert war.

Nach 3-4 Monaten fing ich an zu stottern, kurz danach fielen mir beim Sprechen mitten im Satz bestimmte Worte nicht mehr ein.

So weiß ich z.B. noch genau, dass ich einmal zu meiner Mutter sagen wollte, dass das Telefon geklingelt habe, ich sah das Telefon auch geistig vor mir, konnte mich aber partout nicht daran erinnern, wie das seltsame Ding mit den Nummern auf den Tasten denn eigentlich heißt.

Gegen die Schmerzen half das Medikament allenfalls bedingt, deshalb sollte die Dosis auf 7200 mg täglich verdoppelt werden.

Daraufhin brach ich Therapie ab.

Bis zum September 2004 hatte sich der Morbus Sudeck zumindest soweit zurückgebildet, die Schwellung und Farbe des Fußes hatten sich einigermaßen normalisiert, sodass ich mich bei Dr. Strehle in Bern einer weiteren Operation unterziehen konnte.

Dies war durch die extremen Verhärtungen im Gewebe und die Nervenschmerzen, die durch eine in Deutschland durchgeführte Neuraltherapie weiter verschlimmert worden waren, leider unumgänglich.

Es stellte sich heraus, das ein Nerv sogar schon abgestorben war und deshalb durchtrennt und verlegt werden musste.

Außerdem entfernte Dr. Strehle das extrem ausgebildete Narbengewebe, das sich nach den vorhergehenden Operationen immer wieder neu gebildet hatte.

Nach der Operation von Dr. Strehle blieben die Verhärtungen dauerhaft verschwunden.

Allerdings hatte ich jetzt große Probleme im Bereich der Großzehe und in einem Gebiet über dem Außenknöchel, so dass mir normales Gehen ohne Krücken und sogar das Tragen eines Schuhs unmöglich war, außerdem waren der brennende Schmerzen an der Hautoberfläche wieder stärker geworden.

Wieder war es Dr. Strehle, der Rat wusste und mir die Behandlung bei Herrn Spicher, in der St. Anne-Klinik in Fribourg ermöglichte.

Nach einem ersten Gespräch im Januar 2005 war meinen Eltern und mir innerhalb kürzester Zeit klar, dass ich der von Herrn Spicher vorgeschlagenen Therapie eine Chance geben sollte, auch wenn dies bedeutete, dass mein Vater mich jeden 2. Freitag von Mannheim nach Fribourg fahren musste.

Ich brauchte Herrn Spicher eigentlich gar nicht erklären, welch brennende Schmerzen ich hatte und wie quälend diese waren, er untersuchte den Fuß und erzählte mir stattdessen vollkommend zutreffend, welche Beschwerden ich hatte.

Zunächst kam es mir sehr seltsam vor, als Herr Spicher mit einem Mäppchen zu mir kam, in dem sich lauter schmale Plastikstäbchen befanden und er mit diesen leicht in meinen Fuß piekste.

Ich lernte aber schnell den Zusammenhang zu der Regenbogenskala des Schmerzes und deren unterschiedliche Schmerniveaus kennen.

 

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Auch die Intensität mit der Herr Spicher mich über die Eigenart und Qualität meiner Schmerzen regelmäßig befragte, war für mich absolutes Neuland.

Ist der Schmerz brennend oder schneidend? Stechend oder pieksend? Kratzend oder doch eher juckend?

Was ist eine mechanische Allodynie?

Am glücklichsten war ich allerdings über die Tatsache, dass bei der Behandlung mein Fuß in Ruhe gelassen wurde, und die Gegenstimulation der Nerven knapp unterhalb des Knies begann und sich dann erst Schritt für Schritt langsam nach unten arbeitete.

Auch nicht gewaltsames Laufen ohne Krücken wurde mir verordnet, sondern nach wie vor vorsichtige Schonung.

Die Verwunderung darüber, dass ich plötzlich zu Hause damit begann, an meinem Unterschenkel zunächst mit einem Kaninchenfell, dann mit einem Pinsel und schließlich mit unterschiedlichen Stoffen zu reiben und regelmäßig auf eine bestimmte Stelle meines Schienbeins zu klopfen, war verständlicherweise groß.

Der Erfolg der Gegenstimulation ließ die anfängliche Skepsis schnell verschwinden.

Die größte Überwindung kostete mich, wieder das Neurontin einzunehmen.

Herr Spicher versicherte mir jedoch, dass ich nur eine Tagesdosis von 300 mg einnehmen sollte, und deshalb die schlimmen Nebenwirkungen nicht zu erwarten wären und eine derartig niedrige Dosierung außerdem eine deutlich bessere Wirkung gegen die Schmerzsymptome hätte.

Wieder behielt er Recht.

Nun, nach über einem Jahr Therapie in Fribourg, ist der Zustand meines Fußes so weit verbessert, dass ich wieder damit beginnen kann einen Schuh zu tragen.

Sämtliche Verfärbungen haben sich normalisiert, das gesamte quälende Brennen ist verschwunden, lediglich die Phantomschmerzen, die durch den abgestorbenen Nerv verursacht werden, müssen noch weiter behandelt werden.

So bleibt mir mich nur mich zu bedanken, bei Herrn Dr. Strehle, dem Arzt bzw. Operateur, der mir nach Jahren falscher Diagnosen und Therapien endlich helfen konnte und der mich nicht nur durch seine fachliche Kompetenz, sondern auch durch seine Menschlichkeit tief beeindruckt hat.

Außerdem bei Herrn Spicher und Frau Degrange, die mich kurzfristig in Ihr Therapieprogramm aufnahmen, mir immer Mut machen, geduldig mein Französisch ertragen und mir terminlich immer entgegenkommen.

Bei meiner Reha-ärztin, Frau Monika Herbert in Bammental bei Heidelberg, die mich treu und verständnisvoll seit etwa 3 Jahren begleitet und meine einzig verbliebene Anlaufstelle in der Nähe meines Wohnortes geblieben ist.

Und natürlich bei meinen Eltern. Was sie die letzten Jahre mit mir durchmachten, lässt sich

nach diesem Bericht allenfalls erahnen.

 

Danke schön!

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